Die Tories: „Eine garstige Partei“
Christian Schnee
Chapter 15 in Das Vereinigte Königreich, 2022, pp 309-327 from Springer
Abstract:
Zusammenfassung Ein Aufschrei ging durchs Land und hallte wider in den Aufmachern aller Nachrichtensendungen und den Titelgeschichten der Tageszeitungen, als am 18. April 2021 die Meldung von der Super League über Großbritannien hereinbrach. Die reichsten und prominentesten Fußballvereine teilten nach geheimen Verhandlungen mit, künftig in einer eigenen exklusiven Liga gegeneinander antreten zu wollen. In London hatten die Traditionsclubs Chelsea und Tottenham Hotspur ihre Teilnahme verbindlich zugesagt und im Norden würden die beiden Vereine aus Manchester – United und City – sowie der FC Liverpool sich der Elite aus Spanien und Italien anschließen und künftig für Rekordhonorare um einen neuen Pokal spielen (Devlin 2021). Mit dem Projekt wollten Milliardäre, die sich in den vergangenen Jahren in die Premier League, Englands oberste Spielklasse, eingekauft hatten, die Vermarktung ihrer Teams auf Rekordniveau steigern. Über den Zugang zu dem erlesenen Zirkel sollte das Budget entscheiden – nicht mehr die sportliche Leistung. Sofort schlug den Plänen eine Welle der Empörung entgegen und wilder Protest der Fans, die den Sport und den fairen Wettkampf bedroht sahen von der Geldgier internationaler Investoren. Fußball ist ein so großes Thema im Land, dass kein Parteichef, noch dazu einer im Amt des Premierministers, schweigen kann, wenn sich eine fußballbegeisterte Nation um die Zukunft der Sportart sorgt, die in Großbritannien ihre Ursprünge hat. So vergingen auch nur Stunden, bis Boris Johnson einen Krisengipfel in Downing Street einberief mit dem Ziel, die Pläne für die Super League zu stoppen. Aufgebrachte Konservative Parlamentsabgeordnete forderten derweil, die Strippenzieher in den Vereinsvorständen für ihr schädliches Vorhaben zur Rechenschaft zu ziehen, entweder mit einer Sondersteuer auf die Clubs oder einer Begrenzung von Arbeitserlaubnissen für Spieler aus dem Ausland. Regierungschef Johnson ließ prüfen, ob das Wettbewerbsgesetz dazu taugte, den Teilnehmern der Super League das Geschäft zu vermiesen mit einer Verpflichtung, die Begegnungen künftig in freien TV-Kanälen ohne Bezahlschranke anbieten zu müssen. Sogar eine neue Verordnung nach deutschem Vorbild wurde erörtert, um Kapitalanlegern den Erwerb von Stimmenmehrheiten der Clubs zu verwehren (Johnston 2021). Die Super League, diese Schöpfung aus Gier und Arroganz, kollabierte rasch unter dem Angriff der Regierung. Der maßgebliche Ideengeber für das Projekt, Ed Woodward, Manager von Manchester United, trat zurück. Die Ereignisse jener Apriltage waren nicht nur für Fußballinteressierte bemerkenswert. Auch politische Beobachter hatten erstaunt zugeschaut, mit welcher Vehemenz und Einmütigkeit die konservative Partei und ihr Vorsitzender Boris Johnson Großinvestoren, freie Märkte und die Folgen der Globalisierung bekämpften. Als Margaret Thatcher die Partei anführte in den späten 1970er- und 1980er-Jahren, galten die Konservativen als vorbehaltlose Cheerleader für üppige Investitionen und den Rausch des Geldes, mit dem ein Sport transformiert werden sollte, der seinerzeit vor allem der baufälligen Stadien und marodierenden Hooligans wegen Schlagzeilen machte (The Economist 2021a). Die Spitzenteams Liverpool und Manchester United wurden seinerzeit internationale Marken, die weltweit Spieler und Fans lockten. Ausländische Milliardäre kauften die besten Clubs, obwohl sie weder persönliche noch berufliche und schon gar keine emotionale Verbindung zu den Heimatorten ihrer Mannschaften hatten. Schwerreiche Fußballer, ihre Frauen und Freundinnen wurden zu Celebrities und bestimmten nun den vulgären Ton in dem lukrativen Geschäft. Als die bröckelnden alten Stadien neuen Arenen nach amerikanischem Vorbild wichen, stiegen die Ticketpreise und die Jahreskarte für ein Heimspiel wurde für Personen mit geringem Einkommen unerschwinglich. Boris Johnson, damals Parlamentsabgeordneter im feinen Henley – dem Ort der königlichen Ruderregatta – konnte seinerzeit an der Kommerzialisierung des Sports nichts Verwerfliches finden. Den Verkauf von Manchester United an die Glazer-Brüder, amerikanische Sportunternehmer, im Jahr 2005 hielt er für konform mit dem „Grundsatz konservativer Philosophie“ (The Economist 2021a). Heute schlägt er andere Töne an und kritisiert die „milliardenschweren Besitzer“ dafür, die Anliegen der Fußballfreunde zu ignorieren und die Vereine ihren Heimatgemeinden zu entfremden. In einem Artikel für die SUN, der Zeitung von Rupert Murdoch, der über Jahre mehr als andere die Übernahme des Sports durch ausländische Großinvestoren befeuerte und einst selbst versuchte, Manchester United zu kaufen, schrieb Johnson den Fans: „Es ist euer Spiel und ich versichere euch, dass ich alles tun werde, was ich tun kann, dieser blödsinnigen Idee (einer Super League) die rote Karte zu zeigen“ (Johnson 2021).
Date: 2022
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