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Privatschulen – Von traurigen kleinen Männern

Christian Schnee

Chapter 19 in Das Vereinigte Königreich, 2022, pp 373-387 from Springer

Abstract: Zusammenfassung Uniform ist Pflicht, die akademischen Anforderungen sind außergewöhnlich hoch, ehrgeizige Eltern versuchen, für ihre Kinder hier einen Platz zu finden und die Quote des Nachwuchses, der es von der Schulbank hier im Osten Londons an eine Spitzenuniversität bringt, liegt hoch. Die Schüler an der staatlichen Brampton Manor Schule inmitten des ärmlichen Stadtteils East Ham stammen aus bescheidenen Verhältnissen, nicht wenige wohnen in Sozialsiedlungen. Viele leben unter einem Dach mit den Großeltern, um die sie sich kümmern, wenn die Eltern arbeiten – nichts Ungewöhnliches in Migrantenfamilien. Eltern scheint die Idee fremd, ihre Kinder könnten später einmal eine Universität besuchen. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass im Jahr 2021 55 Absolventen von Brompton Manor das Angebot für einen Studienplatz in Oxford oder Cambridge erreichte. Zum Vergleich, am Eton College, der alten Schule Boris Johnsons und David Camerons, das jährlich ein Schulgeld von knapp 50.000 Euro in Rechnung stellt, waren im selben Jahr nur 41 Schüler so erfolgreich – fünf Jahre zuvor waren es noch 99. Für die Schulleitung des Privatinternats unweit der Ortschaft Windsor ist das Grund zur äußersten Sorge. Schließlich steht der Ruf auf dem Spiel, die angesehenste Schule im Land zu sein, die immerhin 20 Premierminister hervorgebracht hat. In Brampton Manor werden Eltern nicht zur Kasse gebeten, können aber sicher sein, dass ihre Kinder eine Schule besuchen, die von der Aufsichtsbehörde Ofsted immer wieder für ihre exzellente pädagogische Arbeit ausgezeichnet wird. Das hat sich längst herumgesprochen, sodass nun auch Stars wie der Crime-Rapper Stormzy, der keine Probleme damit hätte, üppiges Schulgeld aufzubringen, seine Kinder in Brampton Manor anmelden will. Dem Kollegium dort ist es ernst damit, ihre Lehranstalt unter den besten Schulen im Land zu etablieren (Woolcock 2021a). Deren Qualität wird auf unterschiedliche Weise gemessen. Eine Zahl aber konzentriert jedes Jahr die Aufmerksamkeit von Eltern und Medien: Wie viele ihrer Jugendlichen bringt eine Schule in Oxford und Cambridge unter. Das ist der Goldstandard, nach dem Direktoren beurteilt und honoriert werden. Rund hundert von ihnen beziehen ein höheres Salär als der Premierminister, 29 der Leiter sind ihren Arbeitgebern sogar 240.000 Euro im Jahr wert (Woolcock 2021b). Sie sind Generalmanager von Schulunternehmen mit mehreren Standorten. Die acht besten Institute – zwei staatliche und sechs private – gehören einer Art informeller Super League an, weil sie gemeinsam genauso viele Schüler erfolgreich durch das Aufnahmeverfahren von Oxford und Cambridge steuern wie 75 Prozent aller anderen Schulen im Land (Griffiths 2021a). Wer sich diese Zahlen näher anschaut, dem fällt auf, dass Absolventen staatlicher Schulen immer öfter Privatschüler übertrumpfen. Andrew Hall, Direktor an dem Privatinternat Kings College School im feinen Londoner Stadtteil Wimbledon, weist darauf hin, dass die Eliteuniversitäten sich seit Jahren bemühen, aus politischen Gründen den Anteil der Studenten aus Familien mit niedrigem Einkommen, ohne akademisch gebildete Eltern und aus sozialen Brennpunkten zu steigern. Er warnt: „Es wäre nicht gut für das Land, wenn bei Bewerbungen brillante junge Menschen nur deshalb abgelehnt werden, weil sie nicht aus benachteiligten Wohnvierteln und zerrütteten Familien stammen“ (Griffiths 2021a). In der Tat wird bei der Auswahl nicht mehr ausschließlich auf die Noten des Bewerbers geachtet, sondern auf dessen familiären Hintergrund, die Wohnlage ausweislich der Postleitzahl. Ist das Umfeld eines Kandidaten unvorteilhaft, dann senken sowohl Oxford als auch Cambridge schon mal die Mindestanforderungen an die Schulnoten des Pennälers. Was politisch korrekt erscheint, bedeutet Unheil für die so alten wie teuren Privatschulen und ihre privilegierte Klientel in einer Ära, die wenig Sympathie hat für Eliten und deren ererbten und erkauften Privilegien. Hier zeigt sich ein Aspekt des Konkurrenzkampfs zwischen privaten und staatlich finanzierten Schulen, der den Diskurs über Bildungspolitik seit Beginn des 20. Jahrhunderts prägt. Es ist ein Wettstreit der Systeme, der Weltanschauungen und der Geldbeutel, der hitzig geführt wird von Eltern, weil die eigenen Kinder betroffen sind, aber auch von Politikern, weil es um viele Wählerstimmen geht. Die Priorisierung der Bildung auf der politischen Agenda hat aber auch zu tun mit einer Einsicht des konservativen Premierministers Benjamin Disraeli, der bereits im 19. Jahrhundert darauf verwies, dass das Schicksal des Landes abhänge von der Bildung des Volkes (Abell 2019, S. 137). James Welldon, Direktor von Harrow, dem Privatinternat im Nordwesten Londons, das zu seinen Alumni unter anderem Winston Churchill sowie Lord Byron zählte, den Poeten und Helden des griechischen Freiheitskampfes, blieb nicht der Einzige, der seinerzeit Disraeli beipflichtete. An die gewichtige gesellschaftliche Aufgabe, die den Privatschulen bei der Gestaltung der Zukunft Großbritanniens zukam, erinnerte er anlässlich eines Treffens am Königlichen Kolonialinstitut im Jahr 1895. Dort verwies Welldon darauf, dass die Jungen an seiner Schule als Staatsmänner, Generäle und Beamte reüssierten, in deren Händen die Zukunft des Empire liege (Mangan 1986).

Date: 2022
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