Was ist der Cruzado noch wert? Zur gegenwärtigen wirtschaftliche Lage und der Aussichten Brasiliens
Friedrich L. Sell
No 141, Kiel Discussion Papers from Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel)
Abstract:
Der Cruzado-Plan vom Februar 1986, der Brasilien schlagartig Preisniveaustabilität ohne eine Stabilisierungskrise verschaffen sollte, ist gescheitert. Seitdem sind etwas mehr als zwei Jahre vergangen, und Brasilien weist nicht nur wieder - wie vor dem Cruzado-Plan - zweistellige monatliche Inflationsraten auf, sondern ist zudem von einer Rezession, zumindest aber von einer Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums bedroht. • Bis zum Ende des Jahres 1987 versuchten zwei Finanzminister, die seit Aufgabe des Preisstopps Ende 1986 wieder erstarkten Inflationserwartungen zu brechen. Aber ohne Erfolg, statt dessen geriet Brasilien in eine Krise mit stagflationärem Charakter: Das öffentliche Defizit, dessen Inflationswirkungen ignoriert wurden, hat sich stetig erhöht; die verstärkte Ausgabe von Staatstiteln und die restriktive Geldpolitik gegenüber privaten Geschäftsbanken trugen dazu bei, das Zinsniveau anzuheben. Bei weit hinter den Preissteigerungsraten zurückgebliebenen Lohnsteigerungen erlahmte die Konsumnachfrage, und private Investoren hielten sich stark zurück. Gleichzeitig verschlechterten sich zusehends die Angebotsbedingungen durch intra- und intersektoral diskriminierende Preisregulierungen. Nur bei der Exportgüterproduktion waren negative Rückwirkungen nicht festzustellen. Anfang 1988 verkündete Finanzminister Nóbrega einen Neubeginn, der sich in einer Mischung kurzfristiger Sparmaßnahmen, vorsichtiger Liberalisierung im Außenhandel und umfangreicher Absichtserklärungen ("Modernisierung", "Anpassung") ausdrückt. Die durchgeführten Sparmaßnahmen sind jedoch nur temporärer Natur, und die entscheidenden Ursachen des Budgetdefizits werden nicht berührt. Außerdem haben die bisherigen Zollsenkungen das Protektionsniveau nur unwesentlich gesenkt. Die Verkündung eines weitreichenden Programms zur Sanierung der brasilianischen Wirtschaft durch Nóbrega erscheint nicht ausreichend, um die internationale Kreditwürdigkeit des Landes wiederherzustellen. Überdies wird die Glaubwürdigkeit seiner Politik durch die ordnungspolitischen Beschlüsse der verfassungsgebenden Versammlung erschüttert: Die bisher beschlossenen Maßnahmen laufen nämlich T ^ \ darauf hinaus, daß direkte und indirekte Lohnkosten steigen, die Chance auf Privatisierung in zukunftsträchtigen Sektoren verpaßt wird und sich die Attraktivität Brasiliens als Standort für ausländische private Direktinvestitionen verschlechtert. Damit ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Wirtschaft in Gefahr. Die Exportentwicklung war in den letzten Jahren nahezu der einzige Lichtblick der brasilianischen Konjunktur. Doch auch dieser Aktivposten gerät zunehmend unter Druck: Nichttarifäre Importhemmnisse werden die Qualität der Exportprodukte nachhaltig beeinträchtigen, wenn die begonnene Liberalisierungspolitik nicht konsequent fortgesetzt wird. Die Abwertungen gegenüber den Währungen wichtiger Handelspartner, die lange Zeit dem Inflationsunterschied zwischen dem Ausland und dem Inland entsprachen, halten seit Ende 1987 mit dem Tempo der Inflationsentwicklung nicht mehr Schritt: Es ergab sich eine reale Aufwertung, die außenwirtschaftlich nicht wünschenswert sein kann. Gelingt es der brasilianischen Wirtschaftspolitik nicht, den falschen ordnungspolitischen Kurs zu korrigieren und die Weichen zugunsten niedriger öffentlicher Defizite, einer Stärkung der privaten Binnennachfrage, einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Angebotsbedingungen sowie einer nachdrücklichen Liberalisierung im Handel zu stellen, muß eine anhaltende Stagflation befürchtet werden.
Date: 1988
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