Der Homo oeconomicus im Gesundheitswesen
Hartmut Reiners
Discussion Papers, Research Group Public Health from WZB Berlin Social Science Center
Abstract:
Die deutschen Lehrbücher für Gesundheitsökonomie basieren mehr oder weniger auf dem Menschenbild des homo oeconomicus. Dieses grundlegende Paradigma der neoklassischen Ökonomie ist entweder trivial in dem Sinn, dass die Menschen immer versuchen, das Beste aus einer jeden Situation zu machen; oder sie hat nur sehr begrenzte empirische Evidenz, wie man anhand Mark Paulys moral hazard-Postulat zeigen kann. Es besagt, dass die öffentliche Finanzierung von Gesundheitsdiensten falsche Anreize setzt, weil die Nutzer versuchen würden, mehr Leistungen als erforderlich zu bekommen. Diese systematische Überkonsumtion medizinischer Leistungen könne nur durch Zuzahlungen bzw. Franchise-Systeme beschränkt werden. Eigentlich unterstellt Pauly, dass medizinische Behandlungen ein reines Vergnügen sind, von dem man gar nicht genug haben kann - eine äußerst unrealistische Annahme. Zuzahlungen haben nur dann eine rationale Wirkung auf die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, wenn die Patienten eine wirkliche Wahl haben, etwa im Festbetragssystem für Arzneimittel. Aber wenn es so wenige Belege für die Rationalität von Zuzahlungen gibt, weshalb war dann dieses Instrument in jedem Kostendämpfungsgesetz der letzten 30 Jahre in Deutschland enthalten? Die Gesundheits- und Sozialpolitik wird in Deutschland von einer hoch ideologischen Debatte über Lohnkosten und deren Wirkung auf Deutschlands Stellung im globalen Wettbewerb dominiert. Krankenkassenbeiträge werden als Lohnnebenkosten definiert und für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Leistungskürzungen in der Gesundheitsversorgung sollen ein Impuls für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung sein. Es gibt keine belastbaren Belege für diese Behauptung, aber sie beherrscht die veröffentlichte Meinung. Ein anderes Paradigma der neoklassischen Ökonomie ist die umfassende Nützlichkeit des Wettbewerbs. Jedoch gibt es zwei verschiedenen Denkschulen, deren Protagonisten Walter Eucken und F. A. von Hayek sind. Während Eucken der freien Marktwirtschaft eine suizidale Tendenz zum Monopolismus unterstellt und deshalb für einen regulierten Wettbewerb plädiert, nimmt Hayek eine dogmatische Haltung zum freien Markt ein und weist jede politische Einflussnahme ab. Diese unterschiedlichen Grundsätze bestimmen auch heute noch die deutsche Debatte über den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es ist evident, dass ein solches System nur mit einem Risikostrukturausgleich vernünftig funktionieren kann. Andernfalls entstünde ein total verzerrter Wettbewerb zu Lasten jener Krankenkassen, die chronisch Kranke und sozial Schwache versichern.
Date: 2006
References: View complete reference list from CitEc
Citations: View citations in EconPapers (1)
Downloads: (external link)
https://www.econstor.eu/bitstream/10419/47399/1/512841330.pdf (application/pdf)
Related works:
This item may be available elsewhere in EconPapers: Search for items with the same title.
Export reference: BibTeX
RIS (EndNote, ProCite, RefMan)
HTML/Text
Persistent link: https://EconPapers.repec.org/RePEc:zbw:wzbhea:spi2006305
Access Statistics for this paper
More papers in Discussion Papers, Research Group Public Health from WZB Berlin Social Science Center Contact information at EDIRC.
Bibliographic data for series maintained by ZBW - Leibniz Information Centre for Economics ().