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Krankenstand in Deutschland: Entwicklung und Einflussfaktoren

Jochen Pimpertz and Lena Holtmeyer

No 26/2025, IW-Reports from Institut der deutschen Wirtschaft (IW) / German Economic Institute

Abstract: Seit Mitte der 2000er Jahre ist der Krankenstand in Deutschland stetig gestiegen, im Jahr 2022 zeigt sich ein außergewöhnlicher Niveausprung. Während das Statistische Bundesamt einen weiteren Anstieg im Jahr 2023 ausweist, deutet der mitgliedergewichtete Krankenstand der beschäftigten AOK- und BKK-Mitglieder auf eine marginale Entlastung hin. Schreibt man die Entwicklung mit dem Trend fort, der sich auf Basis einer monatlichen BKK-Stichprobe für das Jahr 2024 ergibt, verharrt der Krankenstand auch im abgelaufenen Jahr auf unverändert hohem Niveau. Diese Einordnung bleibt auch bestehen, wenn man den Einfluss der ab 2022 eingeführten, elektronischen Erfassung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mithilfe einer Heuristik schätzt. Für die Erklärung der Krankenstandentwicklung lassen sich vielfältige Hypothesen aus den deskriptiven Statistiken der Dachverbände verschiedener Krankenkassenarten ableiten - angefangen von soziodemografischen Merkmalen wie dem Alter oder Geschlecht über den Versichertenstatus oder den Bildungshintergrund bis hin zu arbeitsmarktbezogenen Merkmalen wie der beruflichen Tätigkeit, der Branchenzugehörigkeit oder der Betriebsgröße. Die Erklärungsbeiträge unterschiedlicher Faktoren ließen sich über einen regressionsanalytischen Ansatz bestimmen. Voraussetzung dafür ist aber der Zugang zu originären, anonymisierten Versichertendaten. Die volkswirtschaftlichen Effekte eines erhöhten Krankenstands lassen sich nur in engen methodischen Grenzen schätzen, die Studienlage deutet aber auf eine merkliche Dämpfung der Wirtschaftsleistung hin. Unmittelbar werden die Arbeitgeber durch stetig steigende Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung belastet. Dieser Anstieg kann nur zu einem Teil durch Beschäftigungsaufbau und nominale Bruttoentgelterhöhungen erklärt werden, auch der erhöhte Krankenstand treibt die Belastungen. Dabei gilt es zu beachten, dass es den Unternehmen aufgrund des demografisch bedingt schrumpfenden Arbeitskräftepotenzials zunehmend schwerer fällt, eine ausreichend große "Beschäftigungsreserve" vorzuhalten, um krankheitsbedingte Fehlzeiten ohne Umsatzausfälle zu überbrücken. Dies motiviert die Reformdebatten um eine Begrenzung der Entgeltfortzahlungspflicht. Ob Karenztage, reduzierte Fortzahlung während einer Karenzzeit oder eine Begrenzung der Gehaltsfortzahlung auf maximal sechs Wochen pro Jahr - die Effekte hängen maßgeblich davon ab, dass derartige Maßnahmen nicht durch tarifvertragliche Regelungen konterkariert werden. Jenseits der monetären Belastungen für die Arbeitgeber deuten Indizien auf eine zumindest juristisch zweifelhafte Praxis bei der Attestierung einer Arbeitsunfähigkeit. Die Nutzung einschlägiger Internetportale zur Erlangung einer AU-Bescheinigung scheint bislang statistisch wenig relevant zu sein, begründet aber im Einzelfall erhebliche Zweifel, dass die Krankschreibung nach vergleichbaren Kriterien erfolgt wie bei einer persönlichen Konsultation eines in Deutschland praktizierenden Arztes. Deshalb sollte diese Optionen abgeschafft werden. Weitere Indizien deuten auf eine zumindest juristisch zweifelhafte Handhabung der telefonischen Krankschreibung in nicht unerheblichem Umfang. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass nicht ärztliches Praxispersonal AU-Bescheinigungen ohne Arztkontakt ausstellt, gilt es Optionen zu prüfen, die eine ärztliche Konsultation sicherstellen.

JEL-codes: I12 J28 (search for similar items in EconPapers)
Date: 2025
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Page updated 2025-06-21
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